Verantwortungsloser egoistischer Familienvater und Tierquäler

Eine Erinnerung an ein Gespräch, das so nie stattgefunden hat und der Versuch, ein Gefühl zu verbalisieren, dass sich in einigen Unterhaltungen der letzten Wochen aufgestaut hat.

Stille. Für einen kurzen Augenblick erleben wir sie, diese vollständige, diese allumfassende Stille. Die Uhr tickt nicht mehr, der Wind holt kurz Luft und auch der Wasserhahn hört auf zu tropfen. Sie alle haben sich mit meinem Gesprächspartner verschworen und bereiten die Bühne für den entscheidenden Schlag. Jetzt, endlich, kommt der Satz, den mein Gegenüber die ganze Zeit schon sagen möchte. Aber nie sagt.

Sag, wie hast du's mit der Sicherheit deiner Kinder?
Sag, wie hast du's mit der Sicherheit deiner Kinder?

Eine Stunde später habe ich mich wieder beruhigt. Bei einem kurzen Spaziergang stelle ich mir die Fragen, mit denen ich gerade konfrontiert wurde, noch einmal selber. In Ruhe. Stimmt es? Bin ich wirklich ein verantwortungsloser, egoistischer Familienvater und Tierquäler? Wenn ja, was bedeutet das für unsere Reise? Wenn nein, wie kommt es, dass ich mir diese Vorwürfe gerade anhören durfte?

 

Recherche. Ein hartes Stück Arbeit.

Vier Monate vorher, Ende August, haben wir die ersten Freunde in unsere Pläne eingeweiht. Sie waren sozusagen die Testgruppe und beeindruckend schnell darin, unsere damals noch naiven Ideen zu zerpflücken. Durch Saudi-Arabien fahren? Illusorisch. Mit einem fünf Jahre alten Benz über Stock und Stein bis in die Mongolei? Idiotisch. Realitätsfern. Wahnwitzig.

 

In der Zwischenzeit haben wir uns durch die Webseiten von Botschaften gekämpft und die Länderinformationen der Außenministerien aus Österreich und Deutschland durchgearbeitet, haben uns in Reiseforen herumgetrieben, zahlreiche Bücher gelesen über das Reisen an sich und die Länder, die wir bereisen werden, sowie ein neues Auto gekauft. Aber vor allem haben wir unsere Pläne permanent auf den Prüfstand gestellt – in der Recherche ebenso wie in Gesprächen mit Freunden, Verwandten und anderen Weltreisenden.

 

Zu Hause angekommen schleppe ich mich ins Wohnzimmer und lasse mich auf die Couch fallen. Die Vorwürfe wiegen doch schwerer als gedacht. Vielleicht nehme ich sie mir aber auch zu sehr zu Herzen. Man sollte meinen, ich könnte solche Aussagen nach all den Jahren besser einschätzen. Ich habe sie ja auch kommen sehen, bereite mich vielleicht auch deswegen so intensiv auf die Reise vor, damit ich Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen kann.

 

Ausrüstung. Eine scheinbar endlose Liste

Mit jedem Gespräch, ob euphorisch oder kritisch, mit jedem Buch, jedem Blog, jeder Stunde Recherche haben wir dazugelernt. Wir haben unsere Route mehrfach angepasst, verzichten etwa komplett auf die Kurdengebiete (Astrid und die Kinder lassen die Türkei gleich ganz aus).

 

Gleichzeitig ist die Liste an Ausrüstungsgegenständen stetig gewachsen und reicht von einer Damenstrumpfhose (Keilriemenersatz) über Klau-portemonnaies (mit abgelaufenen Karten und ein paar Geldscheinen) und zahlreichen Medikamenten bis zu einer tragbaren Waschmaschine. Wir verfügen über fünf 20-Liter Treibstoffkanister, damit wir nicht aufgrund schlechter Treibstoffversorgung liegen bleiben. Der Wohnwagen hat eine Solaranlage, einen 100-Liter Wassertank, zwei große Gasflaschen und Tonnen an Lebensmitteln, falls wir doch einen unerwarteten Stopp einlegen müssen.

 

Man könnte schlechter vorbereitet sein.

 

Und doch hagelte es vor mittlerweile zwei Stunden heftige Kritik. An der Reise an sich und insbesondere daran, dass ich Frau, Kinder und Hund mit hineinziehe um meine Reisegeilheit zu befriedigen. Dass Astrid und ich die Entscheidungen gemeinsam treffen, wird geflissentlich ignoriert. Zumindest ist mein Ärger mittlerweile verraucht. Wobei, nicht ganz, sonst würde ich diese Zeilen wohl nicht schreiben.

 

Tee. Mein Allheilmittel

Ich beschließe, dass ich lange genug aus dem Fenster gestarrt habe und gehe in die Küche. Astrid steht am Herd und schneidet irgendein Gemüse. So genau schaue ich nicht hin. Die Kinder sind noch im Kindergarten und auf der Arbeitsplatte dampft eine frische Kanne Pfefferminztee. Genau das, was ich jetzt brauche.

 

Ich schenke mir eine Tasse ein und nehme einen großen Schluck. In meinem Mund breitet sich der frische Minzgeschmack aus, den ich so liebe. Sofort werde ich ruhiger, atme instinktiv tief ein und schließe die Augen.

 

Ich bringe also Kinder und Hund in Gefahr, in dem meine Frau und ich mit ihnen ein Jahr im Wohnwagen durch Asien reisen. Ich tue meinen Kindern etwas Schlechtes, in dem ich Ihnen zwölf Monate lang Vollzeit-Familie biete, ihnen fremde Länder und neue Kulturen näherbringe und ihnen so eine Offenheit für vermeintlich Anderes ermögliche, die bleibt, auch wenn konkrete Erinnerungen längst verblasst sind. Nennt mich Bestie.

 

Ironie aus.

 

Was genau wurde denn kritisiert? Einerseits gab es Bedenken, die dem Realitätscheck nicht standhalten, etwa die angeblich generelle Aggressivität in den Zentralasiatischen Ländern – quasi Ängste irgendwo zwischen Fake-News und Eindrücken aus einer längst vergangenen Zeit. Natürlich mag es mancherorts etwas ruppiger zugehen, insbesondere in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Aber deswegen anzunehmen, dass man automatisch zur Zielscheibe wird, ist Schwarzmalerei. Es gibt Regeln (vor allem ungeschriebene), die man kennen und an die man sich halten muss. Dadurch lässt sich das Risiko auf ein akzeptables Maß reduzieren, wenn auch natürlich nie ganz ausschalten. Soviel ist klar.

 

Zweitens gibt es Risiken, die nicht oder nur bedingt vermieden werden können, sobald man sich für eine grobe Route entschieden hat. Die Straßen sind, wie sie sind. Damit muss man leben können (und die Fahrzeuge entsprechend vorbereiten). Tankstellen gibt es nicht an jeder Straßenecke und etwa in Usbekistan ist Diesel nur über spezielle Kanäle erhältlich.

 

Kreuzverhör. Es gibt nichts Schöneres

Diese und hundert andere Aspekte und Argumente gehören mittlerweile zu meinem Standardrepertoire. Doch im konkreten Fall half das nicht. Alles wurde abgeschmettert und wie im Kreuzverhör hatte ich gerade genug Zeit, um halbe Antworten zu formulieren, bevor das nächste Thema angeflogen kam. Und Angeklagter Frigo kam verdammt schlecht weg, wurde laufend aus dem Konzept gerissen und konnte die Fragen der Staatsanwaltschaft nur unzureichend beantworten.

 

Zu guter Letzt sprachen wir über Risiken, die komplett vermeidbar sind. Hier wurde es interessant. So kann man sich gegen die Fahrt durch die kurdischen Gebiete in Türkei und Iran entscheiden oder selbst die Zähne mit Wasser aus abgepackten Plastikflaschen putzen. Andererseits gibt es immer noch Touristen, die durch Pakistan reisen und dabei den (aus gutem Grund) bewaffneten Schutz in Belutschistan in Kauf nehmen – eine Route, die wir binnen Sekunden ausgeschlossen hatten. Hier muss jeder entscheiden, wieviel Risiko er/sie bereit ist einzugehen.

 

Bei uns lautet die Standardantwort: wenig. So vermeiden wir etwa Regionen und Länder auch wenn sie für andere Reisende Highlights ihrer Tour waren (bspw. den Pamir Highway in Tadschikistan, der blöderweise zum Teil an der afghanischen Grenze verläuft) und werden zum Übernachten so oft wie möglich auf couchsurfing, airbnb, Campingplätze oder Hotels zurückgreifen.

 

Auch werden wir permanent weiter recherchieren und mit jeder/m darüber sprechen, der/m sich für unsere Reise interessiert. Denn es gibt noch genug Dinge, die wir nicht wissen. Und wir werden natürlich die Entwicklungen entlang unserer Route beobachten, mit lokalen Sicherheitskräften sprechen und die Strecken entsprechend anpassen, ganz zu schweigen davon, dass wir einen Monatslohn in die empfohlenen Impfungen stecken.

So in etwa wird unsere Route verlaufen (auch wenn wir den Russland-Aufenthalt eher verkürzen und wesentlich weiter im Osten aus Kasachstan aus und weiter im Westen in die Mongolei einreisen werden.
So in etwa wird unsere Route verlaufen (auch wenn wir den Russland-Aufenthalt eher verkürzen und wesentlich weiter im Osten aus Kasachstan aus und weiter im Westen in die Mongolei einreisen werden.

 

 

Emotionen. Dinge, die mir oft im Weg sind.

Fake News, unvermeidbar, vermeidbar. Wie immer beruhigt mich die Systematisierung von Dingen. Sie ermöglicht es mir, mich strukturiert und vor allem auch distanziert mit Problemen zu beschäftigen. Emotionen sind hier nur im Weg, sie verdecken den Blick auf die wirklich relevanten Themen. Und sie machen es manchmal unmöglich, Probleme bzw. Lösungen zu erkennen.

 

Vielleicht ist auch genau das mein Problem. Ich habe mich von den Risiken distanziert, um sie beurteilbar zu machen. Und genauso spreche ich darüber. Distanziert. Als würde alles jemand anderen betreffen. Nur nicht mich. Und erst recht nicht meine Kinder.

 

Aber in mir brodelt es. 95 Prozent meiner Aufmerksamkeit gelten den Themen Sicherheit und Gesundheit. Alles andere ist sekundär. Soll uns doch eine Achse brechen, wir sind mindestens fünf Tage autark überlebensfähig. Sollen sie uns drei Tage vor Grenzübergang X warten lassen oder gar nicht erst in Land Y hineinlassen. Dann fahren wir eben eine andere Route. Aber sie wird immer die sicherste sein, die es geben kann, egal ob dabei Sehenswürdigkeit Z ausgelassen wird. Und wenn alle Stricke reißen, fahren/fliegen wir eben wieder heim.

 

Denn wer glaubt, die Sicherheit meiner Kinder wäre mir nicht um ein Vielfaches wichtiger als meine eigene, der kennt mich schlecht – beziehungsweise verwechselt meine nüchterne Argumentation mit Indifferenz und den eigenen emotionalen Populismus mit Fakten.

 

Jetzt noch einen frischen Tee und dann geht’s wieder an den Rechner. Es gibt viel zu recherchieren.

 

===

 

PS: Falls ihr euch wundert, warum ich die Vorwürfe bzgl. unseres Hundes nicht aufgegriffen habe, empfehle ich euch Astrids Beitrag zu dem Thema. Dem ist nichts hinzuzufügen.

 

PPS: Ich freue mich auch weiterhin über jede einzelne Meinung, jede Idee, jede Anmerkung, die ihr zu unserer Reise habt. Ich musste hier nur mal kurz Dampf ablassen, über die manchmal sehr vorwurfsvolle Kommunikation dazu.

 

PPPS: Nein. Wir nehmen keine Waffe mit. Ich bin ja nicht bescheuert.

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Kommentare: 2
  • #1

    Fatima Zamith (Freitag, 09 Februar 2018 20:13)

    Quand partirez-vous? J'espère que tout sera bien et une expérience très riche.

    Je vous embrasse tous.

    Fátima Lisbonne-Portugal

  • #2

    Martinus (Samstag, 17 März 2018 19:40)

    ihr macht alles richtig und auch werde ich euch auf eurer Reise begleiten